Warum soll eigentlich eine Wölbung nach aussen schön sein, und eine nach innen nicht? Eine runde Stelle am Körper, die einen dunkleren Hautton, in rötlich-braun hat, erotisch sein, und eine längliche Stelle, die einen helleren Hautton hat, nicht? Ist es, weil das eine naturgegeben ist, und das andere aus einem dramatischen Grund entstanden ist? Entscheidet die Geschichte dahinter ob das, was unser Auge sieht, etwas Reizendes oder etwas Brutales ist? Und wie kann ich es schaffen, dass ich meine Narben, meine „Nicht-mehr-Stellen“ annehmen kann? Wenn ich sie mehr als nur annehmen möchte - wie ich sie schön finden kann?
Ich versuche meinen Körper nicht mehr in Relation zu anderen gesunden Körpern als „ok“, „normal“ oder sogar „schön“ zu sehen, sondern entscheide mich dafür, eine neue, eigene Kategorie zu schaffen. Ich bestimme darüber, ob ich meinen neuen Körper schön finde. Wölbungen und Dellen sind verschoben. Wo vorher die weiche Brustdrüse zu spüren war, die Brustwarze, die auf Berührungen reagierte, sind nun die harten Rippen zu spüren. Nur eine Hautschicht darüber. Nichts mehr, was die Handfläche füllen würde. Aber etwas Neues, wo ich mit den Fingerspitzen entlang fahren kann. Diese Bahnen zwischen zwei Rippen. Die Narbe, die sich verschieden anfühlt - mal breiter und geschwulstig und gespannt, mal weich und fein. Ich habe kein Ideal mehr im Kopf, mit dem ich mich vergleiche. Es ist etwas Anderes. Etwas Neues, das ich nicht von Anfang an ablehnen möchte. Es ist nichts was ich vorher kannte. Nichts, was ich vorher bei Anderen gesehen habe. Nichts, worüber man spricht. Nichts, das ich in meinem Leben bis dahin für mich bewerten konnte. Ich bin es noch am kennenlernen.
Es sieht komisch aus. Wie Ying und Yang. Die eine Seite macht Platz für die andere. Wenn ich meinen Oberkörper in der Vertikale zusammenklappen könnte, hätte die Brust in der „Nicht-mehr-Brust“ Platz. Die beiden Seiten vervollständigen sich nun. Es besteht keine Konkurrenz mehr zwischen der linken und rechten Brust. Ich sehe meinen Körper als Ganzes. Als Kunstwerk. Dessen Daseinsberechtigung sich nicht aus seiner Schönheit oder Fehlerlosigkeit ergibt. Der Körper ist da und ist so, wie er ist. Mit seinen Fehlfunktionen. Störungen. Widerständen. Veränderungen. Er hat seine Gestalt geändert. Er scheint von aussen zerbrochen, aber ich kann ihn mit meinem Geist zu einem Kunstwerk machen.
08.06.24, Text und Bild von Mehtap, Mitglied von TAVOLA ROSA BASEL
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